- 1960
Zonas libertadas. Mosambik und die Dekolonisierung der Stadt
- 1979
1975 hatte sich Mosambik endgültig von der portugiesischen Kolonialherrschaft befreit. Aber schon vorher, während des jahrelangen Unabhängigkeitskampfes, konnten in den zonas libertadas – den durch die antikoloniale Bewegung FRELIMO befreiten ländlichen Gebieten – neue Formen des gemeinschaftlichen Lebens erprobt werden. Jenseits des Kolonialstaats entstanden Schulen, Verwaltungsstrukturen und neue Modelle des Lebens und Arbeitens. Nach der Unabhängigkeit sollte diese Erfahrung auch für die Gestaltung und Planung städtischer Räume nutzbar gemacht werden. Zumindest prägte dieser Anspruch die erste stadtpolitische Agenda des unabhängigen Staates, die 1979 auf der „Nationalen Konferenz für Städte und Gemeinschaftsviertel“ formuliert wurde.
Als zentrales Ziel wurde hier die Dekolonisierung der Stadt postuliert. Damit verbanden sich Forderungen nach einer Aufhebung rassistisch grundierter Besitzverhältnisse, einer Teilhabe der Bevölkerung an politischen Entscheidungen und einer Abkehr von einem Städtebau, der allein der kolonialen Extraktionswirtschaft diente. Aber auch andere Debatten prägten den nachkolonialen Städtebau des Landes: Die politische Revolution und die Entwicklung eines unorthodoxen Sozialismus fand in städtebaulichen Erwägungen ihren Niederschlag und stärkte die Rolle kommunaler Parteistrukturen. Der Einfluss ausländischer Expertinnen, die den Mangel an lokalen Fachkräften im Bauwesen ausgleichen sollten, wurde zu einem bestimmenden, oft auch kritisierten Faktor im mosambikanischen Architekturbetrieb. Denn 1975 lebten in dem Land mit damals rund zehneinhalb Millionen Einwohnerinnen und einem ausgeprägten Bevölkerungswachstum zeitweise nur noch fünf Architekt:innen. Neben neuen Impulsen brachte dies auch neue Abhängigkeiten mit sich. Und schließlich führte die Suche nach einer eigenen, lokalen Antwort auf architektonische und städtebauliche Herausforderungen in einem von Krieg und Ressourcenknappheit geprägten Land gerade im Wohnungsbau zu kontroversen Debatten und ungewöhnlichen baulichen Experimenten.
Welche Bedeutung hatten diese Diskussionen in der Praxis? Der Film erkundet die Innenstadt von Maputo an einem Sonntag im Sommer 2022 und folgt den Erinnerungen von drei Architekten, die den mosambikanischen Städtebau von der Unabhängigkeit bis in die Frühphase des 1992 etablierten Mehrparteiensystems erlebt haben. João Tique (geb. 1954) war nach der Unabhängigkeit Parlamentsabgeordneter und Sekretär des mosambikanischen Jugendverbandes, der der FRELIMO nahestand. Er gehörte ab 1986 zum ersten Studierendenjahrgang der neugegründeten Architekturfakultät. Ab 2016 stand er für mehrere Jahre der Fakultät als Direktor vor. Zudem leitete er eine Behörde für sozialen Wohnungsbau. Bernd Stich (geb. 1951) erlebte Maputo in den frühen 1980er Jahren als Vertreter der Abteilung Muster- und Experimentalprojekt der Bauakademie der DDR. Ihm oblag die Umsetzung einer experimentellen Wohnsiedlung für Hochschulangestellte, mit der die Nutzung von DDR-Plattenbautechnologie für den mosambikanischen Massenwohnungsbau erkundet werden sollte. Entgegen seinem Auftrag interessierte er sich mit seinem örtlichen Partner Mário do Rosário jedoch zunehmend für kleinteilige, ressourcenschonende Bauweisen. Paolo Martegani (geb. 1938) arbeitete als Vertreter der Sapienza Università di Roma im Rahmen von Hochschulpartnerschaften in Luanda und, später, Maputo. Dort unterstützte er den Aufbau der Architekturfakultät und trieb die Nutzung von Computern in der Architekturlehre voran.
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Film und Idee: Nikolai Brandes
Kamera: Aguacheiro Multimédia, Maputo
Postproduction: Anna-Maria Weber
Transkription der Interviews: Sophie Eisenried, Ivete Jevinge, Peter Seeland
Text: Nikolai Brandes
Literatur
Brandes, Nikolai. 2022. „‘Das Ziel waren Wohnungen für die ganze Bevölkerung‘. Ein Gespräch mit dem mosambikanischen Architekten Mário do Rosário, der in Maputo die Umsetzung eines der letzten Wohnungsbauprojekte der DDR im Ausland begleitete“. In: Butter, Andreas und Flierl, Thomas, Architekturexport DDR. Zwischen Sansibar und Halensee. Berlin: Lukas, 56-71.
Forjaz, José. 1985. „Research needs and priorities in housing and construction in Mozambique”. Habitat International, 9, Nr. 2: 65–72,
doi: https://doi.org/10.1016/0197-3975(85)90009-8.
Forjaz, José. 1999. Entre o adobe e o aço inox. Between Adobe and Stainless Steel. Lissabon: Caminho.
Ministro de Estado na Presidência. 1979. „Discurso de abertura”. Eröffnungsrede zur 1a Reunião Nacional sobre Cidade es Bairros Comunais, 26. (?) Februar 1979, herausgegeben durch die República Popular de Moçambique, Maputo.
Momplé, Lília. 2001 [1995]. Neighbours. The Story of a Murder. Harlow: Heinemann.
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