Beitrag schließen

Zonas libertadas. Mosambik und die Dekolonisierung der Stadt

Thema: Institutionen und Organisationen
Zeitspannen:
  • 1979
Video von Nikolai Brandes, entstanden im Rahmen des Art in Networks-Fellowship-Programms. In dem Beitrag geht es um Städtebau in Mosambik nach der Unabhängigkeit von portugiesischer Kolonialherrschaft und die Beteiligung der DDR in den 1980er Jahren.
Video von Nikolai Brandes, 2022

1975 hatte sich Mosambik endgültig von der portugiesischen Kolonialherrschaft befreit. Aber schon vorher, während des jahrelangen Unabhängigkeitskampfes, konnten in den zonas libertadas – den durch die antikoloniale Bewegung FRELIMO befreiten ländlichen Gebieten – neue Formen des gemeinschaftlichen Lebens erprobt werden. Jenseits des Kolonialstaats entstanden Schulen, Verwaltungsstrukturen und neue Modelle des Lebens und Arbeitens. Nach der Unabhängigkeit sollte diese Erfahrung auch für die Gestaltung und Planung städtischer Räume nutzbar gemacht werden. Zumindest prägte dieser Anspruch die erste stadtpolitische Agenda des unabhängigen Staates, die 1979 auf der „Nationalen Konferenz für Städte und Gemeinschaftsviertel“ formuliert wurde.

Als zentrales Ziel wurde hier die Dekolonisierung der Stadt postuliert. Damit verbanden sich Forderungen nach einer Aufhebung rassistisch grundierter Besitzverhältnisse, einer Teilhabe der Bevölkerung an politischen Entscheidungen und einer Abkehr von einem Städtebau, der allein der kolonialen Extraktionswirtschaft diente. Aber auch andere Debatten prägten den nachkolonialen Städtebau des Landes: Die politische Revolution und die Entwicklung eines unorthodoxen Sozialismus fand in städtebaulichen Erwägungen ihren Niederschlag und stärkte die Rolle kommunaler Parteistrukturen. Der Einfluss ausländischer Expertinnen, die den Mangel an lokalen Fachkräften im Bauwesen ausgleichen sollten, wurde zu einem bestimmenden, oft auch kritisierten Faktor im mosambikanischen Architekturbetrieb. Denn 1975 lebten in dem Land mit damals rund zehneinhalb Millionen Einwohnerinnen und einem ausgeprägten Bevölkerungswachstum zeitweise nur noch fünf Architekt:innen. Neben neuen Impulsen brachte dies auch neue Abhängigkeiten mit sich. Und schließlich führte die Suche nach einer eigenen, lokalen Antwort auf architektonische und städtebauliche Herausforderungen in einem von Krieg und Ressourcenknappheit geprägten Land gerade im Wohnungsbau zu kontroversen Debatten und ungewöhnlichen baulichen Experimenten.

João Tique, Videostandbild, 2022
Bernd Stich, Videostandbild, 2022
Paolo Martegani, Videostandbild, 2022

Welche Bedeutung hatten diese Diskussionen in der Praxis? Der Film erkundet die Innenstadt von Maputo an einem Sonntag im Sommer 2022 und folgt den Erinnerungen von drei Architekten, die den mosambikanischen Städtebau von der Unabhängigkeit bis in die Frühphase des 1992 etablierten Mehrparteiensystems erlebt haben. João Tique (geb. 1954) war nach der Unabhängigkeit Parlamentsabgeordneter und Sekretär des mosambikanischen Jugendverbandes, der der FRELIMO nahestand. Er gehörte ab 1986 zum ersten Studierendenjahrgang der neugegründeten Architekturfakultät. Ab 2016 stand er für mehrere Jahre der Fakultät als Direktor vor. Zudem leitete er eine Behörde für sozialen Wohnungsbau. Bernd Stich (geb. 1951) erlebte Maputo in den frühen 1980er Jahren als Vertreter der Abteilung Muster- und Experimentalprojekt der Bauakademie der DDR. Ihm oblag die Umsetzung einer experimentellen Wohnsiedlung für Hochschulangestellte, mit der die Nutzung von DDR-Plattenbautechnologie für den mosambikanischen Massenwohnungsbau erkundet werden sollte. Entgegen seinem Auftrag interessierte er sich mit seinem örtlichen Partner Mário do Rosário jedoch zunehmend für kleinteilige, ressourcenschonende Bauweisen. Paolo Martegani (geb. 1938) arbeitete als Vertreter der Sapienza Università di Roma im Rahmen von Hochschulpartnerschaften in Luanda und, später, Maputo. Dort unterstützte er den Aufbau der Architekturfakultät und trieb die Nutzung von Computern in der Architekturlehre voran.

Untertitel für das Video können auf Deutsch und Englisch aktiviert werden.

 

Film und Idee: Nikolai Brandes

Kamera: Aguacheiro Multimédia, Maputo

Postproduction: Anna-Maria Weber

Transkription der Interviews: Sophie Eisenried, Ivete Jevinge, Peter Seeland

Text: Nikolai Brandes

 

Literatur

Brandes, Nikolai. 2022. „‘Das Ziel waren Wohnungen für die ganze Bevölkerung‘. Ein Gespräch mit dem mosambikanischen Architekten Mário do Rosário, der in Maputo die Umsetzung eines der letzten Wohnungsbauprojekte der DDR im Ausland begleitete“. In: Butter, Andreas und Flierl, Thomas, Architekturexport DDR. Zwischen Sansibar und Halensee. Berlin: Lukas, 56-71.

Forjaz, José. 1985. „Research needs and priorities in housing and construction in Mozambique”. Habitat International, 9, Nr. 2: 65–72,
doi: https://doi.org/10.1016/0197-3975(85)90009-8.

Forjaz, José. 1999. Entre o adobe e o aço inox. Between Adobe and Stainless Steel. Lissabon: Caminho.

Ministro de Estado na Presidência. 1979. „Discurso de abertura”. Eröffnungsrede zur 1a Reunião Nacional sobre Cidade es Bairros Comunais, 26. (?) Februar 1979, herausgegeben durch die República Popular de Moçambique, Maputo.

Momplé, Lília. 2001 [1995]. Neighbours. The Story of a Murder. Harlow: Heinemann.

Verknüpfte Beiträge

  • Architekturtransfer zwischen Kuba und der DDR
    Zeitspannen:
    • 1960
    Institutionen und Organisationen
    Im Interview stellt die Kunsthistorikerin Juliane Richter ihre Forschung zu Industriebauten vor, die die DDR in Kuba plante.
  • Tropenbau aus Weimar
    Zeitspannen:
    • 1985
    Institutionen und Organisationen
    Die Kunsthistorikerin Juliane Richter und der Bauingenieur Hans-Ulrich Mönnig diskutieren in Videointerviews die Arbeit des Wissenschaftsbereichs Tropenbau an der HAB Weimar.
  • Geschmortes Herz
    Zeitspannen:
    • 2022
    Reisen
    Video von Sonya Schönberger
    Artefakte der MS Völkerfreundschaft betrachtet in einer intuitiven Erzählung von der Dramatikerin Enis Maci, eine künstlerische Annäherung ans Thema Reisen.
    Künstler:innen:
    • Sonya Schönberger
  • Plattenlotus
    Zeitspannen:
    • 1974
    • 2074
    Objektgeschichten
    Video der Künstlerin Arlette Quỳnh-Anh Trần, entstanden im Rahmen des Art in Networks-Fellowship-Programms. PLATTENLOTUS ist eine künstlerisch-futuristische Auseinandersetzung mit der sozialistischen Planstadt Vinh, die in den 1970er Jahren durch Expert:innen der DDR in Vietnam gebaut wurde.
  • Ferry Tale
    Zeitspannen:
    • 1975
    Reisen
    Video des Künstlers Siska, entstanden im Rahmen des Art in Networks-Fellowship-Programms.
    Der Beitrag erzählt von der Schifffahrt zwischen der DDR und dem Libanon zu einer Zeit, in der sowohl Berlin als auch Beirut geteilte Städte waren.
    Künstler:innen:
    • Siska
  • SUNS 1958-1962-1989
    Zeitspannen:
    • 1962
    Private Kontakte
    Video von Gaelle Prodhon, entstanden im Rahmen des Art in Networks-Fellowship-Programms.
    Der Beitrag erzählt von den Beziehungen der DDR zu Algerien im Feld der Fotografie.
    Künstler:innen:
    • Christiane Eisler
    • Dirk Alvermann
    • Abdelkrim Amirouche
  • Jenseits der Heimat. Sozialismus, Leben und Erinnerung 
    Zeitspannen:
    • 2022
    Reisen
    Video von Katrin Bahr, entstanden im Rahmen des Art in Networks-Fellowship-Programms. In dem Beitrag geht es um Privatfotografie von DDR-Bürger:innen in Mosambik und um einen persönlichen Zugang zu der Arbeit mit Erinnerungen und privaten Bildern der Vergangenheit.
Beitrag schließen