Über das Projekt
Ausgangspunkte
Die in der DDR entstandene Kunst ist seit den 1990er Jahren Gegenstand kontroverser Debatten. Ihre (kunst-)historische Verortung und gesellschaftliche Relevanz werden in der Wissenschaft und im Rahmen von Ausstellungen bis heute diskutiert und in Frage gestellt. Prominente Beispiele für das Ringen um Erinnerung sind der „deutsch-deutsche Bilderstreit“ oder die Auseinandersetzungen um die Denkmalwürdigkeit der „Ostmoderne“. Die Kunstproduktion in der DDR wird in diesem Zusammenhang oftmals abwertend als provinziell und selbstbezüglich dargestellt. Internationale Beziehungen werden in der Regel im sogenannten Ostblock verortet. Kaum bekannt ist, dass das Netzwerk der Kontakte und Austauschbeziehungen der DDR im Feld der bildenden Kunst und Architektur fast den ganzen Globus umspannte. Formen dieses Kontakts konnten zum Beispiel Ausstellungskooperationen, Künstler:innenreisen oder der Austausch von Studierenden sein.
Forschungsziele
Vor diesem Hintergrund ist eine breit angelegte transkulturelle Perspektive auf die künstlerische Produktion in der DDR unerlässlich, um die Geschichte der Kunst in der DDR als eine „Kunstgeschichte des Kontakts“ (Kravagna 2013) grundlegend neu zu verorten. Dabei werden unbekannte Freiräume und Einschränkungen des Kontakts über eurozentrische Narrative hinaus beleuchtet. Besondere Aufmerksamkeit erfahren Geschichten und Perspektiven von Akteur:innen aus Ländern des Globalen Südens. Die Vielfalt von Stimmen und Erinnerungen soll dabei intersektionalen Perspektiven sowie Widersprüchen Raum geben. Diese neue Sicht möchte Art in Networks: The GDR and its Global Relations etablieren und in Form einer digitalen Plattform der Öffentlichkeit vermitteln. Die REACT-Forschungsgruppe wird durch den ESF-gefördert und ist zwischen Februar und Dezember 2022 am Lehrstuhl für Bildwissenschaft im globalen Kontext der TU Dresden angesiedelt.
Art in Networks möchte die Verbindungen von Künstler:innen, Architekt:innen, Museen und anderen kulturellen Akteur:innen zwischen der DDR und Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika sichtbar machen und den dabei entstandenen internationalen Netzwerken nachspüren. An einzelnen „Knotenpunkten“ soll exemplarisch untersucht werden, wo und wie sich Formen des privaten und institutionellen künstlerischen Austauschs gestalteten. Inwiefern haben sich kulturpolitische Beziehungen materialisiert? Wo lagen die Grenzen des offiziellen Austauschs innerhalb der politischen Rahmenbedingungen? Wie wurden sie mitunter im Privaten überschritten? Wo finden sich bis heute Spuren dieser Kontakte?
Dazu entstehen Text- und Videobeiträge, die hauptsächlich auf Interviews mit Zeitzeug:innen basieren. Die Beiträge sind in einer Timeline visualisiert, die über die lineare Entwicklung der internationalen Beziehungen der DDR im Feld der Kunst hinaus die fortwährende Entstehung von Netzwerken bis in die Gegenwart sichtbar machen soll. Thematische Schwerpunkte ergeben sich dabei aus den individuellen Forschungsarbeiten der Mitwirkenden. Ergänzend zu den Zeitzeug:inneninterviews werden bei Art in Networks Expert:innen zu Wort kommen, um interdisziplinäre und internationale Perspektiven auf den Themenkomplex zu bieten. In Interviews mit Wissenschaftler:innen, Archivar:innen und Kurator:innen werden zum Beispiel Forschungsansätze, Ausstellungs- und Sammlungspraktiken oder auch einzelne Objekte besprochen.
Unser Vorgehen und offene
Fragen
Art in Networks lotet die Möglichkeiten von Oral Art History als Methode aus, um Erinnerungen von Zeitzeug:innen mit der Materialität von Werken, Artefakten und anderen Quellen in Videointerviews zu verknüpfen. Die zeitgenössische und persönliche Perspektive der Interviewten auf die vergangenen Begegnungen, Erfahrungen und Ereignisse macht außerdem die affektive und emotionale Dimension dieser Kunstgeschichte(n) deutlich.
Während Oral History in der Geschichtswissenschaft bereits etabliert ist, kommen Interviews in der Kunstgeschichte selten zum Einsatz. Das Format einer digitalen Forschungsplattform mit Videobeiträgen birgt daher auch methodische Schwierigkeiten und komplexe Fragestellungen. So spiegeln die Interviews Selbsteinschätzungen und subjektive Perspektiven auf die Politik, Kultur und Gesellschaft der DDR und anderer Länder wieder, die im Einzelnen nicht immer verifiziert und historisch eingeordnet werden können. Politische Haltungen und beispielsweise Berührungen der Protagonist:innen mit der Staatssicherheit der DDR versuchen wir wenn bekannt anzugeben. Zugleich ist uns bewusst, dass wir diesen in der DDR-Forschung oft stark betonten Punkt in unserem Projekt zurückstellen. Eine tiefergehende Erforschung dieser Themen ist in der Kürze der Projektlaufzeit nicht möglich. In unserem Rahmen können wir hier nur auf Forschungsliteratur verweisen, die sich mit den konfliktreichen Themen der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der DDR beschäftigt, in der die Kunstfreiheit wie viele andere Bereiche durch das repressive System stark eingeschränkt war.
Eine andere Herausforderung lag darin, möglichst vielfältige Stimmen festzuhalten, denn diesem Anspruch steht eine historische Realität der in der Überzahl weißen und männlichen Protagonisten im Kunstbetrieb gegenüber. Dieser Eindimensionalität versuchen wir entgegenzuwirken und gezielt weitere Perspektiven sichtbar zu machen.
Und nicht zuletzt gilt es, unseren Umgang mit dem Material zu hinterfragen. Für die Veröffentlichung wurden alle Videos durch das Art in Networks-Team bearbeitet. Bei der Postproduktion wurden teilweise Formulierungen, die wir als rassistisch und/oder diskriminierend wahrgenommen haben, entfernt. Darüber hinaus ist Art in Networks bewusst, dass sich rassistische und diskriminierende Gedanken und Handlungen vielschichtig äußern können. Von Nicht-Betroffenen werden sie oft gar nicht als Solche erkannt. Das trifft vielleicht auch auf das Team von Art in Networks zu.
Dass die internationalen Kontakte der Protagonist:innen mitunter von asymmetrischen Machtverhältnissen und Eurozentrismus geprägt waren, wird deutlich und bedarf ebenfalls einer weiteren Aufarbeitung. Bei der Postproduktion standen daher viele Fragen im Raum: Wie kann man mit Exotisierungen, Stereotypen und Rassismen umgehen, ohne sie zu reproduzieren – aber auch ohne sie zu verschweigen? Kann das Videomaterial mit nur kurzer historisch-politischer Kontextualisierung durch uns für sich stehen?
Wir hoffen, dass die Materialsammlung in der Zukunft mit konkreten Fragestellungen weiter wissenschaftlich bearbeitet wird.
Art in Networks versteht sich nicht als ein in sich geschlossenes Forschungsprojekt, sondern versucht, einen dynamischen digitalen Raum zu schaffen, in dem wissenschaftlicher Austausch ermöglicht und für ein breites Publikum aufbereitet wird. Historische wie aktuelle künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema der „globalen DDR“ werden präsentiert. Gleichzeitig wird die neue Plattform im vorhandenen Forschungsfeld verankert. Das Projekt erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die stetig wachsende Plattform soll auch als Ressource für weitere Forschung oder Kunstprojekte dienen und ist offen für ergänzende Beiträge, Kritik und Anregungen.
Dank
Unser Dank gilt allen Interviewpartner:innen, die bereit waren ihre Lebens- und Arbeitsgeschichten mit uns zu teilen. Auch Gesprächspartner:innen, die sich nicht mit der Idee eines Videointerviews anfreunden konnten, und mit uns andere Formen gefunden haben, um ihre Geschichten zu erzählen, danken wir sehr.
Wir bedanken uns auch bei den Mitwirkenden, den Kooperationspartner:innen, dem Advisory Board, den Fellows und allen, die am Projekt beteiligt waren.
Art in Networks ist ein stetig wachsendes Projekt, Anregungen, Hinweise und Kommentare nehmen wir unter artinnetworks@tu-dresden.de gern entgegen.
Projektlaufzeit: 1. Februar bis 31. Dezember 2022.